Wenn man sich als Judoka intensiver mit dem BJJ auseinandersetzt, wird man sich wahrscheinlich erst einmal darüber wundern, daß dort jede noch so kleine Bewegung im Bodenkampf mit einer ganz konkreten Bezeichnung versehen wurde.
Man wird aber sehr schnell erkennen, wie hilfreich und nützlich diese Bezeichnungen sind.
Interessant finde ich dabei, daß es im BJJ, anders als im Judo, konkrete Namen für die sogenannten „Transitions“ gibt.
„Transitions“ sind jene Bewegungen, die man benötigt, um überhaupt in eine Position zu gelangen, die es ermöglicht, beim Gegner einen Würgegriff oder einen Hebel ansetzen zu können.
Es hat mich schon immer fasziniert, daß diese Eingangs- und Übergangsbewegungen im BJJ von Anfang an dazugehören und auch ganz konkret benannt und systematisch unterrichtet werden.
Im Judo sind mir solche Bezeichnungen nie begegnet.
Es scheint im Judo üblich zu sein, so jedenfalls meine Erfahrung, ausschließlich die „Abschlußtechnik“ („Submission“) mit einem Namen zu belegen, nicht aber jene Bewegungen, die systematisch zu dieser Abschlußtechnik hinführen.
Mich wundert, daß es so etwas im Judo nicht gibt – jedenfalls nicht im Bodenkampf.
Warum eigentlich nicht?
Im Stand gibt es diese „Transitions“ doch auch … all die vielen unterschiedlichen Arten der Wurfeingänge wurden ja auch akribisch mit Namen versehen.
Im Boden scheint man das im Judo jedoch versäumt zu haben …
Es gibt da also einen großen Unterschied zwischen Judo und BJJ.
Diesen Unterschied habe ich allerdings erst wahrgenommen, als ich vor einigen Jahren begann, mich mit dem BJJ intensiv zu beschäftigen.
Ich glaube aber, daß es da noch einen anderen und sehr wichtigen Aspekt gibt …
Viele Judoka meinen – wenn sie sich überhaupt Gedanken darüber machen – daß die japanischen Benennungen der Würfe und Bodengriffe gleichsam so etwas wie „verbindliche Durchführungsbeschreibungen“ sind.
Oder daß die japanischen Benennungen zumindest deutlich erkennen lassen, womit man es zu tun hat …
Leider ist das nichts als Wunschdenken.
Klar, „Sumi-Gaeshi“ bedeutet „Ecke, dagegen“, und darunter kann man sich, falls man eine entsprechend schlüssige Erklärung erhält, durchaus etwas vorstellen.
Aber wie ist das mit „Tani-Otoshi“? Heißt soviel wie „Tal, fallen(lassen)“. Ist das etwa eine konkrete Beschreibung oder Handlungsanweisung? Oder auch nur eine Hinweis darauf, in welche konkrete Wurfgruppe diese Technik gehört?
Nein.
Wie sieht es bspw. mit „Okuri-Eri-Jime“ aus?
Klar, „Jime“ bedeutet „Würgen“, und damit ist ein Hinweis gegeben, womit man es zu tun hat. Aber auch wenn man weiß, daß „Eri“ mit „Kragen“ übersetzt werden kann, ist „Okuri“ oft … na, sagen wir: strittig.
„Okuri“ bedeutet „nachsenden“, und ich bezweifle, daß das allgemein bekannt ist. Ich bezweifle auch, daß Judoka, welche diese Würge noch nicht kennen, so ohne weiteres wissen, was es mit diesem „Nachsenden, Kragen, Würgen“ auf sich hat – aus dem Namen nämlich erschließt sich das nicht …
Man sollte sich vielleicht doch von der Vorstellung verabschieden, daß die japanischen Namen der Techniken konkrete Beschreibungen oder Handlungsanweisungen darstellen würden.
Sie folgen keiner einheitlichen Linie, keiner wie auch immer gearteten Logik, und das ist historisch bedingt.
Es ist nicht möglich, aus den japanischen Namen der Techniken irgend etwas ableiten zu wollen.
Da das aber nun einmal so ist, erhebt sich doch die Frage, warum man sich dann mit all den unlogischen, verwirrenden, zum Teil übermäßig langen und schwer zu merkenden japanischen Bezeichnungen herumärgern sollte.
Jedenfalls, was den Bodenkampf angeht …
Es gibt zum Beispiel keinen mir bekannten japanischen Namen für jene Bewegung, die im BJJ als „Flower Sweep“ bezeichnet wird.
Da ich diese sehr effektive Bewegung/Transition im Training aber bezeichnen möchte (und MUSS), bediene ich mich einfach des englischen Namens.
Wo ist das Problem?
Es gibt, soweit ich weiß, keinen japanischen Namen für die „Halfguard“ (zumindest keinen, der offiziell im Vokabular des Kodokan auftaucht). Da die „Halfguard“ aber eine enorm wichtige Position ist, über die im Training kommuniziert werden muß, bediene ich mich des englischen Namens.
Na und?
Gleiches gilt für – wie ich bereits erwähnte – „Open Guard“, „Spider Guard“, „Reverse Guard“ etc. etc. pp.
Im Vokabular des Judo kenne ich auch keinen Begriff für eine Transition wie den „Overstep“.
Will ich diese Bewegung nun in meinen Unterricht einbeziehen, MUSS ich dafür eine Bezeichnung haben, da sonst die Kommunikation schwierig bis unmöglich wird.
Gleiches gilt für Positionen wie die „Backmount“.
Es gibt dafür, soweit ich weiß, keinen japanischen Namen im Judo.
Nun muß ich aber über genau diese Position und den Weg dorthin mit meinen Trainingspartnern und Schülern kommunizieren können, weil ich sonst nicht verstanden werde.
Und was man nicht mit Worten ausdrücken und bezeichnen kann, das kann man auch nicht denken …
Warum bediene ich mich dabei nun ausgerechnet englischer Begriffe?
Ganz einfach.
Für all diese Bewegungen und Techniken gibt es seit mindestens 30 Jahren prägnante englische Bezeichnungen.
Diese Bezeichnungen sind Standard im BJJ.
Sie sind kurz, manchmal witzig und vor allem leicht zu merken.
Wir haben seit einiger Zeit sehr viel mit dem BJJ zu tun (worüber ich auch sehr, sehr froh bin!).
Es macht die Kommunikation mit den Jungs vom BJJ einfach und reibungslos, die Termini des BJJ zu kennen und zu benutzen.
Zumindest, wenn es um Bodenkampf geht.
Warum sollte ich mich also bspw. deutscher Begriffe bedienen, die außerhalb meiner eigenen Gruppe niemand kennt und die ich erst lang und breit erklären müßte …?
Warum sollte ich mich damit zufriedengeben, daß es im Vokabular des Kodokan keine Bezeichnungen für all die Dinge gibt, die ich im Bodenkampf für unverzichtbar halte?
Nein, die Begriffe, die im BJJ benutzt werden, sind auch nicht „logisch“, und sie beschreiben auch nicht wie die entsprechende Bewegung auszuführen ist.
Genau das hat man ja verschiedentlich dem BJJ vorgeworfen.
Diese Vorwürfe sind jedoch substanzlos, wenn man bedenkt, daß die japanischen Bezeichnungen im Judo ebenfalls nicht „logisch“ sind und auch nicht als „Durchführungsbeschreibungen“ taugen …
Ich erwähnte das ja eingangs.
Wer als Judoka meint, die konkreten Benennungen des BJJ für Übergänge und Techniken nicht zu benötigen, der kann gern bei den japanischen, tradierten Bezeichnungen bleiben.
Mir aber genügen letztere schon lange nicht mehr.