Wenn man mit dem Erlernen einer kompletten Kampfkunst beginnt, lernt man zunächst einmal die grundlegenden Bewegungen, an Hand derer man zunächst die grundlegende Bewegungsprinzipien gezeigt bekommt, dies geschieht in Form von festgelegten Bewegungsabfolgen (Formen/Kata).
Wenn man die grundlegenden Bewegungen gezeigt bekommen hat, kommen, aufbauend auf den Bewegungsprinzipien, die Kampfprinzipien. Hier gilt: von den Einfachen zu den Komplexen. Das spiegelt sich auch in den Bewegungen wider.
Zunächst einfach, dann komplex. Die Grundlage für diese Prinzipien sind die richtigen Bilder, über die die Bewegungsprinzipien vermittelt werden und die von den Kampfprinzipien erweitert werden.
Diese Prinzipien müssen natürlich auch parallel am Partner angewandt und erfahren werden. Im Karate werden im ersten Schritt die Prinzipien der Annahme und die des Schlagens und Tretens gelehrt. Dann kommen die des Greifens und Werfens.
Wichtig dafür ist es, dass die vorgegebenen Bewegungsformen EXAKT gelehrt und einstudiert werden, denn sie sind das Fundament für die Bewegungslehre, die die Grundlage für alles Weitere ist.
Wenn man diese Bewegungslehre verinnerlicht hat, d.h. der Körper sie verstanden hat UND die Prinzipien KENNT, dann hat man die „Shu-Stufe“ vollendet. Im nächsten Schritt geht es darum die Prinzipien, auf Basis der erlernten Bewegungslehre, für sich zu verstehen und mit Leben zu füllen, d.h. sie zu personalisieren und „für sich neu zu entdecken“. Das passiert in der „Ha-Stufe“.
Jetzt kommen wir zu dem Punkt mit dem Lehrer. In der Shu-Stufe ist der ENGE Kontakt zu einem Lehrer essentiell, da man durch seine Berührungen und Korrekturen erst die Prinzipien versteht und sich lernt zu bewegen. In der Ha-Stufe ist der ZU ENGE Kontakt jedoch hinderlich, man will ja nicht der Klon seines Lehrers werden (und darf es auch nicht!). Der Lehrer ist natürlich immer noch da und korrigiert ab und an Fehler in der Bewegungslehre, die sich unweigerlich einschleichen. Er muss den Schüler jedoch machen lassen, damit er „sein“ Karate findet.
An diesem Punkt ist der Austausch mit anderen Leuten wichtig, die auch schon die Shu-Stufe hinter sich gelassen haben (egal aus welcher KK). Manche Prinzipien muss man einfach von mehreren Seiten beleuchten um sie für sich selbst zu verstehen. Bei uns heißt es da „Go out and learn, come back and share“.
Auch unterrichten hilft an dieser Stelle (auch wenn man sich selber noch nicht als Lehrer fühlt). Wenn man Schülern etwas INDIVIDUELL erklären muss, muss man gewisse Dinge auch noch einmal „durchdenken“ und von anderen Seiten betrachten. Außerdem kann man an den Schülern gewisse Anwendungen noch einmal „testen“. Der Schüler lernt jemanden mit „Dampf“ anzugreifen und der Lehrer kann lernen damit umzugehen. Da der Schüler nicht so weit ist wie die anderen Leute auf seiner Ha-Stufe (die er auch braucht!), kann er so „entspannter“ die Dinge ausprobieren, im „stressfreien“ Raum.
Wenn man dann die erlernten Prinzipien verstanden hat und gelernt hat sie wie einen Anzug seinem „Karatekörper“ überzuziehen, dann hat man die Ha-Stufe verlassen. Das ist der Moment wo man keine festen Bewegungsformen (Kata) mehr FÜR SICH braucht, sie aber dennoch täglich übt, um seinen Körper weiter zu schulen. Das wäre dann das Erreichen der „Ri-Stufe“. Hier „fühlt“ man sich dann auch soweit eigene Schüler zu unterrichten, da man die Prinzipien „frei“ anwenden kann und so auf den Schülern individuell eingehen kann.
An diesem Punkt steht man dann mit seinem Lehrer auf einer Stufe (hat ihn beim Erklimmen des Berges eingeholt, siehe vorheriger Beitrag) und kann gemeinsam mit ihm, auf Augenhöhe, trainieren, wobei der Lehrer eben auch in seinen körperlichen Fähigkeiten (z.B. dem Prinzip des Hörens) voranschreitet und somit immer besser bleiben wird.
Durch diese Art der Wissensübermittlung kann kein Wissen verloren gehen, da die Prinzipien jedesmal neu „entdeckt“ werden. Durch den Kontakt zum Lehrer weiß man ja auch wenn man sie korrekt verstanden und anwenden kann. Entscheidend sind die korrekten! Bewegungsformen, und die Weitergabe der Bilder die den Prinzipien zu Grunde liegen und die Weitergabe der Bewegungs- und Kampfprinzipien selbst.
Jeder findet dadurch „seine“ KK und man gibt so das Feuer weiter und nicht die Asche (die die bloße Kopie der Bewegungsabfolge wäre).
Es gab früher nie „das Karate“ es gab immer das „Kampfsystem“ eines speziellen Menschen auf Basis seines Wissens und seiner körperlichen Voraussetzungen und dem Wissen, das er durch seine Lehrer vermittelt bekam.
Der Schüler kann am Ende der Ha-Stufe neue Prinzipien und Bewegungen lernen und sein Wissen vergrößern. Dazu muss er zu einem anderen, weit fortgeschrittenen, Lehrer in der Ri-Stufe, der ihm andere (oder fortgeschrittenere) Prinzipien und Bewegungen zeigen kann. Somit befindet man sich idealerweise immer an einer Endlosschleife am Übergang von „Ha“ zu „Ri“. Wenn man die einen Prinzipien und Bilder verstanden hat, kommen neue (von einem anderen Lehrer), die man mit den eigenen kombiniert oder die die eigenen erweitern. Somit hört man nie auf zu lernen…